Grundeinkommen heute?

Diese Frage wird mit der BGE-Parteigründung „Bündnis Grundeinkommen“ wieder aktuell. Auch für mich. Eine Weile habe ich mich mit dem Thema nur noch am Rande beschäftigt. Nach vierjähriger Aktivität für das Grundeinkommen bin ich in den letzten Jahren fast zum Gegner geworden. Insofern trage ich in mir sowohl „pro“ als auch „contra“-Argumente.

Eine Weile hat mich die Idee extrem fasziniert: die Mischung aus sozialer Sicherheit und Freiheit, die Abschaffung einer gängelnden Sozialbürokratie, die Beendigung der Diskriminierung von Leistungsempfängern. Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit mit Erwerbslosen gemerkt, wie sehr sie unter der Situation leiden, von der Gesellschaft nicht für vollwertig gehalten zu werden. Grundeinkommen gibt die materielle Basis für Ruhepunkte und schöpferische Pausen im Leben. Es gewährt unbürokratische Unterstützung in Lebenslagen, in denen Arbeit aus bestimmten Gründen noch nicht, nicht oder nicht mehr möglich ist. Ganz viel Initiative wäre plötzlich auf eine stabile Grundlage gestellt, ohne das alles staatlich oder institutionell geregelt werden müsste.

Dann aber: Ist es denn überhaupt gerechtfertigt, eine Vorleistung zu empfangen, ohne etwas dafür zu tun? Kann ich von anderen fordern, mich zu alimentieren, ohne dass ich verbindlich bereit bin, selbst etwas für die Gesellschaft zu tun? Die Proklamation eines „Menschenrechts auf Grundeinkommen“ steht auf wackeligen Füßen, wie ein Baby, dass sein Recht auf die lebenslange Milchflasche behaupten möchte. Klar, das Baby kann dafür noch nicht in gleicher Münze zurückzahlen. Ist hilflos und braucht Schutz. Aber der Erwerbslose heute? Macht ihn die permanente Alimentierung nicht auch unmündig? Passiv und schwach? Ist es nicht gut, sich im Leben auch etwas zu erkämpfen? Wächst die Kraft nicht aus dem Widerstand?

Und erst die Gesellschaft – kann sie es sich leisten, alle von vornherein auszubezahlen, ohne dass die Wirtschaftskraft auch langfristig gesichert ist? Selbst BGE-Ikone Sascha Liebermann muss einräumen, dass ein BGE nicht mehr funktioniert, wenn die ökonomische Basis durch Grundeinkommens-Empfänger untergraben wird, die nichts mehr für die Gesellschaft leisten wollen. Ein „bedingungsloses“ Recht auf Grundeinkommen endet spätestens da, wo die Wirtschaft ein solches Einkommen nicht mehr hergibt. In der Praxis würde schon ein Einbruch der Wirtschaftskraft, ein erheblicher Rückgang der Leistungsindizes der Volkswirtschaft das BGE ganz schnell wieder in der Schublade verschwinden lassen.

BGE-Skeptikern steht die kleine Ur-Gemeinschaft vor Augen: Wenn alle voneinander abhängen kann sich niemand herausnehmen, Einkommen ohne Arbeit zu beziehen. Wer in einer Gemeinschaft die Arbeit verweigert obwohl er arbeiten kann, fliegt raus. Kein Wunder, dass kleine Gemeinschaften kein Grundeinkommen erlauben. In Selbstversorgungsgemeinschaften macht Grundeinkommen tatsächlich wenig Sinn. Wenn jeder ein Stück Land hat, muss jeder selbst über die Runden kommen, oder bei anderen mithelfen. Zusätzliches Geld ist da nur für Dinge nötig, die über den Grundbedarf hinausgehen – medizinische Leistungen, bestimmte Medikamente, Produkte, die nicht in der Gemeinschaft produziert werden können.

Heute jedoch können wir ohne Geld nicht viel machen. Geld ist der Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnen, Kleidung, Nahrung. Dazu noch Internet oder Krankenversicherung. Um die Existenz für alle zu sichern, ist etwa ein Drittel unserer Wirtschaftskraft nötig. Rund 43 Millionen Erwerbstätige schaffen dazu noch für 21 Millionen Rentner und Pensionäre, 13 Millionen Kinder und etwa sechs Millionen, die nicht oder zu wenig Arbeit finden. Jeder zweite arbeitet, und Wissenschaftler wie Dahrendorf, Rifkin oder Straubhaar prognostizieren schon seit langem, dass in Zukunft die Arbeitsgesellschaft drastisch zusammenschmilzt. Jedes Jahr feiern wir allerdings Beschäftigungsrekorde. Noch nie waren so viele Menschen „in Arbeit“ wie heute. Es verschieben sich eher die Gewichte zwischen Produktion und Dienstleistung. An vielen Ecken – siehe Pflege, Betreuung, Beratung, Sicherheit oder Bildung, wurde eher zu viel rationalisiert. Dort könnten deutlich mehr Arbeitkräfte eingestellt werden – wenn die Gesellschaft es wirklich wollte.

Tatsächlich spielt die Arbeitswelt verrückt – alles wird immer produktiver, und trotzdem arbeiten wir länger und in ausgedünnteren Belegschaften, was die Belastung weiter erhöht. Durch die Zunahme an Krankheiten, die durch den größeren Arbeitsstress verursacht werden, steigen die Kosten unserer seltsamen Arbeitsraserei, die allenfalls in der kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Kalkulation noch nicht auftauchen. Entspanntere Arbeit ist jedoch weitaus produktiver. Die meisten Betriebe rechnen falsch – Kosten und Wert eines Mitarbeiters bemessen sich nicht nur nach dem Gehaltszettel, sondern auch nach Ausfallzeiten, Motivation, Einsatzbereitschaft, Erfindungsreichtum, der Vorbildfunktion oder kreativen Lösungsansätzen, die den Betrieb unendlich schwächen oder bereichern können.

Hinzu kommt der demografische Trend: acht Millionen Rentner mehr und 8 Millionen Arbeitnehmer weniger in 20 Jahren bereiten der Politik und vielen Bürgern Kopfzerbrechen. Thomas Straubhaar fordert darum, mit dem BGE die Menschen dauerhaft zu motivieren, tätig zu sein. Menschen künstlich in Arbeit hineinzunötigen, die volkswirtschaftlich keinen Sinn macht, hält er für fatal. Das Grundeinkommen sieht er als Investition in Menschen, damit sie produktiv werden, statt nur zu funktionieren und sich „abzuarbeiten“.

BGE-Befürworter argumentieren, dass ein Grundeinkommen die Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers stärkt. Ich habe ja mein BGE, wozu muss ich jede Arbeit annehmen – wenn sie mir nicht passt. Ganz zu Ende gedacht ist das jedoch nicht. Argumentieren wir zunächst realpolitisch: Ein BGE würde dazu führen, dass bestimmte Arbeiten von BGE-Beziehern nicht mehr gemacht würden. „Dann müssten die Löhne erhöht werden“ so Götz Werner. Vermutlich würde erst mal etwas anderes passieren. Zum Teil würde rationalisiert werden – was Werner ja ebenfalls begrüßt. Die Videokamera ersetzt den Wachschutz. Wir erleben das bei der Berliner U-Bahn oder auf öffentlichen Plätzen, auch zunehmend an Kassen – der Geldautomat ist nur ein Übergangsstadium zum bargeldlosen Transfer. Ein komplett gutes Gefühl gibt diese durchrationalisierte Welt nicht. Auch wenn sie zum Teil nervende und anstrengende Jobs ersetzt, stößt sie doch auf Grenzen, wo Menschen nicht – ohne erhebliche Verluste – ersetzbar sind.

Rationalisierung ist aber nur eine Variante. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist, dass Unternehmen im Fall von BGE billige Arbeitskräfte als Lückenbüßer nutzen würden – durch Produktionsverlagerung ins Ausland oder durch die Beschäftigung von Migranten (solange sie noch keinen BGE-Anspruch haben). Gerade im Moment wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein BGE für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus eine zweite Klasse von Beschäftigten schafft – und neue Einwanderungsgründe. Wasser auf die Mühlen derer, die den Zuzug nach Deutschland radikal begrenzen wollen. Gut möglich auch, dass versucht würde, den Mindestlohn zu unterlaufen – mit dem nicht ganz von der Hand zu weisenden Argument, dass das BGE ja schon den Lebensunterhalt sichert. Ob die Verhandlungsmacht der Grundeinkommensbezieher oder der Arbeitgeber mit einem Grundeinkommen stärker würde, bleibt erst einmal Spekulation – wie vieles beim BGE. Realpolitisch betrachtet könnte ein Grundeinkommen, dass die Löhne drückt und Einwanderung forciert, seine wirtschaftliche und kulturelle Basis schnell untergraben.

Doch jenseits der Realpolitik halten wir fest: Grundeinkommen stärkt den Arbeitnehmer als souveränen Bürger – sofern das Modell nicht von den Arbeitgebern unterlaufen wird. Grundeinkommen braucht also den gesamtgesellschaftlichen Konsens. Besonders gegenüber den Besserverdienenden und Vermögenden. Natürlich auch, weil die Kosten vor allem von diesen Schichten getragen werden müssen.

Einkommen und Erwerbs-Arbeit würden ein Stück weit entkoppelt, und letztere nur noch sekundär den Lebensunterhalt sichern. Es gäbe ein Bürgereinkommen vor dem Arbeitseinkommen, also BGE plus X. Eine durchaus verlockende Vision, da wir ja mehr als nur Arbeitsbürger sind. Ein Problem bleibt die doppelte Einkommens-Logik mit Grundeinkommen: auf der einen Seite müssen wir gesamtwirtschaftlich betrachtet Erwerbsarbeit leisten, um ein Grundeinkommen überhaupt zu finanzieren. Auf der anderen Seite können wir als Einzelne auf Erwerbsarbeit verzichten, da wir ja Grundeinkommen haben. Macht es Sinn, neben der Erwerbsarbeit einen Sektor freier Arbeit, manche nennen das gern „Tätigkeit“, ökonomisch zu ermöglichen? Oder ist es besser, die Arbeit selbst von innen heraus sinnvoller zu gestalten? Oder beides zusammen?

Es erscheint nicht so unsinnig, wenn wir durch Geld bewerten, ob wir eine Arbeit unterstützen wollen oder nicht. Lassen wir zusätzlich dazu einen Sektor wachsen, der sich neben der eigentlichen Wirtschaftsordnung ohne Bezahlung entwickelt, kann dies jedoch eine Investition darstellen und Experimentierphase für die bezahlte Arbeit sein. Zum Beispiel können ehrenamtliche Aktivitäten in der Nachbarschaftshilfe irgendwann zu einer bezahlten Altenbetreuung werden, kann sich aus dem privaten Schuster, der erst mal nur mit dem BGE auskommt, ein kleiner Betrieb entwickeln, der von seinem Schuhverkauf ein veritables Einkommen erzielt. Kontraproduktiv wäre das nur, wenn ein größere Zahl der Menschen sich komplett aus dem Wirtschaftssystem zurückzieht und wenn dieser Rückzug keinen erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen mehr hervorbringt. Erkennbar vor allem für diejenigen, die weiter brav mit ihrer Erwerbsarbeit das Grundeinkommen erwirtschaften müssen. Auch hier zeigt sich wieder – das BGE braucht einen kulturellen Konsens. Sonst funktioniert es nicht.

Auch als Selbständige können wir uns die Arbeit nicht einfach aussuchen, sondern müssen schauen, wer unsere Leistung honoriert. Wenn wir unsere neue Eigen-Arbeit wegen des BGE nicht mehr verkaufen müssen, ist es ungewiss, wie das Pendel ausschlägt. Werden wir jenseits des Marktes mehr motiviert oder weniger? Auch wenn der Mensch grundsätzlich gut ist – rücken wir die Hängematte zu nah an den Arbeitsplatz heran, führen wir in Versuchung. Sind wir auf soviel Freiheit vorbereitet? Wir wissen es nicht.

Wenn wir ein Grundeinkommen für alle bekommen wollen, benötigen wir zunächst Experimente im Kleinen, die gut funktionieren und einem Wertewandel dienen, der sich zur Zeit ohnehin schon vollzieht. Längst sind Generationen in Arbeit, die Arbeit nicht mehr als alleinigen Maßstab für Glück betrachten. Aber auch nicht bereit sind, die kalten Hierarchien, Konkurrenz und Gegeneinander am Arbeitsplatz zu akzeptieren. Ein Beispiel für den Wandel in der Arbeitskultur ist der „Augenhöhe“-Film. Ein allgemeines Grundeinkommen würde unsere Arbeits- und Sozialordnung sprengen – mit ungewissem Ausgang. Das zu riskieren wäre wenig sinnvoll.

Es gibt jedoch viele Übergänge. Längst benötigten wir eine faire Mindestrente, die uns dazu bringt, im Alter das Leistungsprinzip zumindest zu relativieren. In den nächsten Jahren ist zu erwarten, dass diese Forderung lauter wird – gerade bei den geburtenstarken Jahrgängen, die in 10 bis 20 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Bei den Jüngeren, die eine Ausbildung oder ein Studium beginnen wollen, könnte ein zeitlich begrenztes Grundeinkommen die bisherigen BaföG-Regelungen vereinfachen. Im Zusammenhang mit Existenzgründungen würde ein BGE ebenfalls eine sinnvolle und transparente Förderung darstellen – gegenüber dem undurchsichtigen und abschreckenden bürokratischen Förderwirrwarr, der eher von Geiz und Kleinkariertheit zeugt, als zukünftige Unternehmer unterstützt. Nicht zuletzt Familien, die mehrere Kinder großziehen, sollten durch ein großzügigeres und länger gewährtes Erziehungsgeld auch materiell profitieren – nicht nur solche, die viel verdienen, am besten ganz unabhängig vom Einkommen. Mütter möglichst schnell nach der Geburt wieder in Arbeit zu schicken, anstatt sie in ihrer Babyzeit materiell zu fördern, ist kinderfeindlich und schadet den Familien. Entscheidungen für Kinder und für die Familie könnten durch ein langfristigeres Erziehungsgeld sicher gestützt werden.

Für die Berufstätigen wäre es sinnvoll, mit dem Grundeinkommen durch die schon bekannten Sabbatjahre konfrontiert zu werden – ich arbeite 4 Jahre, und habe dann 6-12 Monate zur freien Verfügung (6 Monate zahlt der Staat, 6 Monate finanzieren ich selbst und meine Firma). Ein Jahr Grundeinkommen kann ich für meine Aus- und Weiterbildung, aber auch für Arbeitseinsätze im Ausland nutzen, die meinen Horizont erweitern. Vielleicht starte ich in dieser Zeit auch ein Business – es gibt viele gute Möglichkeiten. Zugleich ermöglicht das Sabbatjahr eine sinnvolle Jobrotation – wenn jedes Jahr ein Fünftel der Arbeitsplätze neu besetzt werden muss, dürfte sich Arbeitslosigkeit erledigt haben. Eine entsprechende Qualifizierungsoffensive vorausgesetzt.

Außerdem ist die Reform der Arbeitslosen- und Sozialbürokratie geboten, die sich vom Geist der Bevormundung und „Aktivierung“ verabschieden muss – dieser „Schröderismus“ ist nicht mehr zeitgemäß. Dreh- und Angelpunkt sollte die Wahlfreiheit der Kunden sein, die sich aus eigener Initiative entscheiden sollen – statt von wohlmeinenden oder genervten „Sachbearbeitern“ dirigiert zu werden, die nicht nur darüber bestimmen, was die „Kunden“ arbeiten sollen, sondern ihnen auch noch das Geld zum Leben zuweisen oder kürzen dürfen. So viel Macht gab es selten. Kunden sollten die freie Wahl haben, sich für gezielte Qualifizierungen, eine Ausbildung oder bezahltes „Training on the job“ zu entscheiden. Letzteres sollte ohnehin – zumindest für Menschen mit mehr Lebenserfahrung – als Alternative zur 3jährigen Ausbildung verstärkt berücksichtigt werden. Unzeitgemäß ist nicht nur die Sozialbürokratie, sondern auch die Undurchlässigkeit der Betriebe, die in perfektionistischer Abschottung unnötige Hürden für potentielle Mitarbeiter aufbauen.

Leistungsgewährung und Förderung müssen strikt voneinander getrennt werden. Tatsächlich sollten für jeden, der nicht selbst eine Arbeit findet, auch realistische Jobs zur Verfügung gestellt werden – wenn nötig auch durch die Erweiterung des öffentlichen Stellenangebotes. Die Sabbatjahre würden allerdings schnell einen wirkungsvollen Sog erzeugen, der zusätzliche Angebote nur in wenigen Fällen nötig macht.

Die hier angedeuteten Reformen sind tiefgreifender Natur, ohne ein ganzes System zu kippen oder gigantische Summen zu kosten. Das Sabbatical würde etwa ein Zwanzigstel des BGE kosten, die Mindestrente könnte durch simple Umschichtungen eingeführt werden, beim Erziehungsgeld wären einige zusätzliche Milliarden erforderlich – alles in allem jedoch überschaubare Ausgaben. Im Gegensatz zu manchen Befürwortern halte ich das BGE für eine mögliche Endperspektive in einigen Jahrzehnten. Entscheidender als Prinzipienreiterei, eine neue Arbeitsphilosophie, diffuse Rechenmodelle und Gedankenspiele im Kopf ist es jedoch, jetzt ganz praktisch mit dem Umdenken und einem schrittweisen Umbau zu beginnen.