Schlömer und Kipping? Passt nicht zusammen

Irgendwie sind die Veranstaltungen am produktivsten für mich, über die ich mich am meisten ärgere. Wo die alte Fußballerweisheit angebracht  ist: knapp daneben ist auch vorbei. Trifft zu für die auf der Seite von Netzwerk Grundeinkommen Diskussion verlinkte Diskussionsveranstaltung am 1.8. zwischen den neu gewählten Leadern der Linken und der Piraten, Kipping und Schlömer.

Was hat da nicht gestimmt? Nun erst mal ein Moderator, der unbedingt beweisen muss, dass er eigentlich noch viel schlauer ist. Wenn Moderatoren den Ehrgeiz haben, die meisten Redeanteile für sich zu beanspruchen, steckt da oft wenig dahinter. Und in der Tat – Augstein ist ein schlechter Zuhörer, versucht mit simplen Klischees zu Statements zu reizen („Seid ihr eine Protestpartei?“ – Kann man langweiliger fragen?). Ein Handicap der Veranstaltung deckt der Moderator und Freitag-Herausgeber am Ende selbst auf: Er möchte Piraten und Linke irgendwie in einer Art Allianz verbunden sehen (weil das seinem persönlichem Geschmack entspricht?). Auch wenn beide Protagonisten ein bisschen miteinander menschelten – ihre Äußerungen sprechen, wenn man genauer hinschaut, eine ganz andere Sprache.

Katja Kipping beliebte es, die links übliche, aber leider öde Reichenschelte zur Norm zu erheben. Die schlecht kopierte Robin Hood Nummer beweist einmal mehr, warum die Linke eigentlich von gestern ist, und weshalb die Piraten vom politischen Publikum als authentischere Alternative wertgeschätzt werden. Bankenmacht brechen, Reiche besteuern, von oben nach unten umverteilen – klingt heute kaum noch radikal, letztlich eher banal. Eine Gesellschaft kommt noch lange nicht in ein Gleichgewicht, findet nicht zu sich als politische Gemeinschaft, wenn man eben ein bisschen an der Reichtumsverteilung herummodelt.

Bernd Schlömer weiß das, aber er möchte das nicht so laut sagen. Auch dass die „Demokratisierung der Wirtschaft“ barer Unsinn ist, weiß er genau. Er begnügt sich damit, auf die liberale Selbstbestimmung des Einzelnen zu verweisen – die im übrigen auch die innerparteiliche Abstimmung prägen soll. Man könnte da schon ein wenig deutlicher werden: Demokratisierung der Wirtschaft ist ähnlich schlau, wie zu fordern, alle Theaterregisseure hätten sich zu verpflichten, ihre Stücke von nun an mit dem ganzen Ensemble in demokratischer Abstimmung auf die Bühne zu bringen. Ablösung der Kunst durch die permanente Debatte. Auch Unternehmen könnte man so prima tot kriegen.

Linke interessieren am Marktgeschehen nur die monopolistischen Auswüchse, der brachiale „starke Arm“ möchte, heute auch gern per Mouse-Click, mit all dem „Kapitalismus“ reinen Tisch machen. „Demokratisierung“ klingt dabei populärer als Verstaatlichung, „Sozialisierung“ oder Rätewirtschaft, im Grunde ist aber so was Ähnliches gemeint. Betriebsräten ein paar mehr Möglichkeiten zu geben (Wo gibt es die heute noch? Aber Linke sehen traditionell überall Industrie), ist nur die zahme Übersetzung des sozialistischen Traums von der (erneuten) Machtübernahme im Wirtschaftsleben.

Wer einmal mit wachen Augen über einen Wochenmarkt geschlendert ist, weiß genau, dass in diesem archaischen Wirtschaftsgeschehen demokratische Abstimmungsprozesse fehl am Platze sind. Die Frage ist eher, wie erreicht werden kann, dass wir diese relativ freien Marktbedingungen auch in anderen Wirtschaftsbereichen wiederherstellen können, anstatt von der Rätewirtschaft zu phantasieren. Die Piraten sollten in dieser Frage Nähe viel eher bei den anderen Parteien als bei der Linken suchen. Die sind auf diesem Auge einfach blind.

In einem hat Augstein dann doch Recht – Schlömers Verweis auf noch zu erfolgende Abstimmungen nervt. Auch ein Parteichef kann versuchen, Sachen zu durchdenken und zu präsentieren. Warum sagt er nicht einfach, was die Gründe für den piratigen Erfolg sind: es geht nur vordergründig um das Urheberrecht, tatsächlich spielt doch die Sehnsucht nach einer engagierten, aber freiheitlichen, unideologischen Politikorganisation die größte Rolle.  Es geht um einen anderen Modus des Regierens, in der sich Regierung eher als Regulativ, als „runder Tisch“ denn als hierarchische Behörde versteht, die den Volkswillen gleichsam verschluckt hat.

Demokratie ist weitaus differenzierter denkbar als die häufig und zu Recht proklamierte Forderung nach „direkter Demokratie“ und Volksentscheiden. Wie können wir Politik „verflüssigen“? Träume von Wahlprogrammen und sogar Koalitionsverhandlungen, die im Internet (ent)stehen und live verändert werden können. Parteitage, die sich dezentral fortpflanzen. Und so fort.

Und dann darf weiter gedacht werden – eine Wirtschaft, in der Initiative statt monopolistischer Absprachen und staatlicher Interventionen ermöglicht wird. Leichter Zugang zu Unternehmensgründungen, neue Möglichkeiten, an Kapital und Kredite zu kommen, Veränderungen in der Zinsarchitektur, Entwicklung neuer Banktypen, alles vielleicht gestützt durch eine Art Grundeinkommen? Dazu ein Staat, der sich dadurch entschuldet, dass er seine ausufernde Behördokratie entrümpelt, Ministerien schließt (wozu brauchen wir ein Familien-, wozu ein Arbeitsministerium?), öffentlich-rechtliche Sender zumacht und den alten Typ von Parteien immer mehr durch sachbezogene Organisationen ersetzt. Natürlich ist „Selbstauflösung“ ein Prozess, der von den Bürgern angestoßen werden muss. Aber er hat bereits begonnen.

Schlömer hat das angedeutet: Man könnte auch mal von einem ganz anderen Steuersystem reden. Warum ist es schlecht, dass die Vordenker in dieser Frage keine Linken waren? Und nein, eine Flattax ist nicht per se ungerecht, genauso wenig wie die Konsumsteuer. Am ungerechtesten ist, wenn unterm Strich aufgrund der Unübersichtlichkeit des Systems auch die Reichen kaum mehr als 30 Prozent effektive Steuern zahlen. Weil man sich so wunderbar durchmogeln kann. Und gerade in Kombination mit einem Grundeinkommen wäre eine Flattax alles andere als ungerecht – ich verweise auf das Modell der Rhein-Erft-SPD. 

Interessant ist, das gerade in diesen Tagen das Ehegattensplitting hinterfragt und eine individuelle Besteuerung gefordert wird – da sind Ansätze für eine grundsätzliche Reform gegeben. Vereinfachung des Steuersystems, des Sozialsystems und der Krankenversicherung – diese Elemente gänzlich auf uns Individuen zuzuschneiden, könnte eine piratige Herausforderung sein.

Lieber Jakob Augstein, bitte keine linkspiratigen Volksfrontträume, vielleicht noch unter Einbeziehung mancher Grüner und Heiner Geissler – die „Solidarische Moderne“ ist ja schon von Kipping & Co. erfunden worden. Tritt der doch einfach bei und lass uns damit in Ruhe. Schlaue Piraten werden sich an diesem Projekt nicht beteiligen. Wir brauchen nämlich in der Tat, liebe Katja Kipping, keineswegs die alten Links-Rechts und Freund-Feind Gemütlichkeiten. Vielleicht ist google zwar monopolistisch, aber trotzdem fortschrittlicher als das linke Wirtschaftsprogramm. Geredet werden sollte über den Rückbau des Staates, statt über neue öffentliche „Beschäftigungssektoren“ (schon bei diesem Wort ist Gänsehaut Pflicht). Über ein Steuersystem, das wirklich innovativ ist, anstatt nur die Neiddebatte anzuheizen. Über mehr Markt statt mehr Demokratie in der Wirtschaft.

Und lieber Bernd Schlömer? Ich kannte Dich bisher nicht, aber das war eigentlich eine ganz sympathische Vorstellung. Professionelle Glätte ist langweilig. Aber traue Dich, das eine oder andere mal zu durchdenken und dann auch auszusprechen. Eine liberale Alternative ist jedenfalls ein guter Fingerzeig. Kennzeichne es doch einfach als Deine Meinung oder mit einem Fragezeichen. Auch damit hebst Du dich wohltuend von den anderen Diskussionspartnern ab, die sich mit Ironie, Überheblichkeit, Parole und Pathos gebärden. Es scheint mir, dass die Piraten tatsächlich den Geist der Zeit erfasst haben – andere fallen dahinter zurück.

Wir  brauchen den Mut zu einer gesellschaftlichen Neuerfindung aus ihrer Mitte heraus – schon witzig, dass gerade Piraten so etwas heute am ehesten zuzutrauen ist. Sie sind weiter als die anderen, da sie gelernt haben, dass echte Rebellion keine Schablonen, Feindbilder oder Ideologien braucht. Da wurde eine Menge Ballast abgeworfen. Beste Voraussetzung, um auch die Bundesrepublik mal etwas zu entrümpeln. Oder etwa nicht?