Piratenwirtschaft

Vorschläge zum Parteiprogramm: Der Bundesparteitag möge beschließen, folgenden Text als Programmteil „Wirtschaftspolitik“ in das Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland aufzunehmen.

Wirtschaftspolitik

(1) „Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft“. Dieser Grundsatz soll auch praktisch in die Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik eingehen.

(2) Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft ist eine Herausforderung, Armut, wie Muhammad Yunus es fordert, in die Museen zu verbannen. Vor allem die Belastungen der niedrigen Löhne mit Steuern und Abgaben muss durch geeignete Reformen zügig reduziert werden (progressive Sozialversicherung siehe Braunschweiger Modell, Sozialversicherungsfreibetrag, höherer Einkommensteuerfreibetrag). Dabei geht es nicht um wahltaktische Reförmchen, die 5 oder 10 Euro im Monat bringen, sondern um Entlastungen der Niedrigverdiener von 300 – 400 Euro monatlich. Nur so kann die Armut effektiv reduziert werden. Mittelfristig wollen wir in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft prüfen, inwiefern die Leistungen in Richtung eines solidarischen Grundeinkommens ausgebaut werden können (deutlich höheres Kindergeld, Mindestrente, Ausbildungsgeld etc.).

(3) Nicht nur national, auch international bemisst sich der Wert eines Wirtschaftssystems besonders daran, ob es die Armut in anderen Nationen fördert oder lindern hilft. Demzufolge wollen wir den Schwerpunkt von Entwicklungspolitik prüfen, die sich nicht in zusätzlichen Projekten erschöpfen darf. Internationales Wirtschaften erfordert die soziale Rückbindung von Unternehmen an gesellschaftliche Ziele, wie die Beseitigung des Hungers und der todbringenden Krankheiten in der Welt.

(4) Entsprechend kritisch geprüft werden muss der starke Anstieg des Exports militärischer Güter. Marktwirtschaft bewegt sich nicht in einem legitimationsfreien Raum. Der Erhalt von Arbeitsplätzen rechtfertigt nicht den Export von Rüstungsmaterial, das für todbringende Kriegführung verantwortlich sein kann. Gleiches gilt für andere qualitativ niedrige oder umweltschädliche Exporte.

(5) Wirtschaft überschreitet nicht nur ethische Grenzen, die Liberalisierung und Privatisierung weiter Teile der Gesellschaft erweist sich als kontraproduktiv (Kölner U-Bahn Bau, Privatisierung der Bahn, zahlreiche PPP-Projekte, die Vermietung öffentlicher Infrastruktur etc.). Dies gilt auch im Gesundheitssektor (z. B. Krankenhauskonzerne an der Börse, „Verkauf“ von Patienten in der Altenpflege). Der Ausverkauf der Gesellschaft an private Investoren ist auf allen Ebenen zu stoppen, soweit keine unabhängige Prüfung möglich ist. Die Regelung, dass die Vertragswerke bei Privatisierungen nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist durch geeignete Gesetze zu unterbinden.

(6) Kreativität, Initiative und Produktivität in der Wirtschaft brauchen Unternehmen, die sich frei im Wettbewerb entfalten können. Dieser Wettbewerb ist jedoch heute durch Monopolbildungen und Großkonzerne empfindlich gestört. Kartellgesetze müssen daraufhin geprüft werden, inwiefern sie Monopolbildungen und Unternehmenskonzentrationen wirksam verhindern können. Ein gutes Beispiel für solche Monopole sind die Energiekonzerne, aber auch z. B. die Pharmaindustrie. Vor allem im Energiebereich ist eine Entflechtung dringend erforderlich. Der Betrieb von Anlagen ist wieder von der Verantwortung für die Strom-Netze zu trennen. Die Netze sind wieder in öffentliche Hände zurückzugeben.

(7) Der freie Wettbewerb der Unternehmen darf nicht dadurch verletzt werden, dass Banken und Investoren die Realwirtschaft mit ihrer Einflussnahme in Geiselhaft nehmen. Die Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn die Rolle der Banken und Investitionsgesellschaften radikal überprüft wird. Banken sollen wieder Dienstleister der Wirtschaft sein, und nicht selbst als Wirtschaftsunternehmen agieren dürfen. Um die Rolle der Banken neu zu justieren, ist eine Bankenreform-Kommission vom Bundestag zu bestimmen, in der Kräfte aus Politik, Finanzwelt, Realwirtschaft, Wissenschaft und Kultur vertreten sein sollen. Diese Kommission hat unter Beteiligung der Öffentlichkeit zu tagen und ihre Ergebnisse auszuarbeiten.

(8) Nicht nur die Banken, auch die Börsen sind einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen. Börsengewinne- oder Umsätze sind mit einer weitaus höheren Steuer abzugelten. Aktienbeteiligungen an Unternehmen durch Banken oder Großaktionäre sind aufzuheben bzw. zu begrenzen oder zeitlich zu befristen. Die Eigenkapitalausstattung von Unternehmen muss wieder im Vordergrund stehen. Es ist zu überprüfen, inwiefern durch den bislang üblichen Kauf und Verkauf von Unternehmen Arbeitnehmerrechte verletzt werden (die Käuflichkeit der Belegschaft ist strittig). Dazu erfolgt eine Anfrage beim Bundesverfassungsgericht.

(9) Die Verschuldung der Gebietskörperschaften macht diese abhängig von der Finanzwirtschaft und lähmt die öffentlichen Haushalte bis zu deren Handlungsunfähigkeit. Es ist zu prüfen, inwiefern es möglich ist, die Gläubiger durch Möglichkeiten der Geldschöpfung abzufinden und die öffentlichen Haushalte komplett zu entschulden. Außerdem ist die Einnahmebasis wieder zu verbreitern. Länder und Kommunen sollen die Möglichkeiten bekommen, mehr Steuern in eigener Verantwortung zu erheben.

(10) Zur Begrenzung neuer Schulden sind zinsfreie Bankkredite von öffentlichen oder anderen Bankhäusern einzuführen. Es ist zu untersuchen, inwiefern die Regionalwährungen ausgebaut werden können. Anstelle des bisherigen Zinssystems sind solche Modelle in Pilotprojekten zu erproben, die den Zins durch Aufschläge und den Wertverfall des Geldes ersetzen. Geld, das seinen Wert sukzessive verliert, kann nicht spekulativ angelegt werden, sondern muss in die Realwirtschaft zurückfließen.

(11) Im Steuersystem sind radikale Vereinfachungsmodelle zu erproben. Die soziale Gerechtigkeit darf aber nicht außer Acht gelassen werden. Entweder das Steuersystem wird mit einem Grundeinkommen kombiniert, das niedrige Einkommen besser stellt, oder die niedrigen Einkommen müssen weitaus stärker entlastet werden. Ein Steuerfreibetrag bei 1500 Euro würde die Hälfte der Steuerzahler betreffen und für sie eine Einkommensteuererklärung überflüssig machen. Ein entsprechend hoher Aufwand in der Finanzverwaltung fällt weg. Dieser Freibetrag kann mit der zusätzlichen Belastung hoher Einkommen (Vermögenssteuer, höhere Besteuerung generell) leicht erwirtschaftet werden.

(12) Das Wirtschaftsleben ist von den Bereichen des Rechtslebens (der Menschenrechte, Arbeitsschutzrechte, Mitbestimmungsrechte usw.), der Kultur (Unternehmenskultur, Unternehmensethik) und von der Ökologie geprägt. Diese Rechte und kulturellen Standards sind von hoher Bedeutung für praktisch alle Bürger, ob als Konsument, als Mitarbeiter oder z. B. als Anwohner. Unternehmen haben ihre rechtlichen, ökologischen und ethischen Orientierungen offen darzulegen und für jeden einsehbar zu machen. Um Unternehmen auf die Befolgung von Standards zu überprüfen, stehen die offene Debatte und das Kommentieren im Internet zur Verfügung. Es werden geeignete Wege geprüft, um Unternehmen auszuzeichnen oder für Fehlverhalten öffentlich anzuprangern.

(13) Inwieweit Unternehmen intern durch Mitbestimmung geprägt werden, obliegt ihrer freien Entscheidung im Rahmen der bestehenden Gesetze. Wir wollen jedoch verschiedene Modelle von Mitbestimmung und Beteiligung in Unternehmen in freiem Wettbewerb erproben. Die Ergebnisse dieser Reformmodelle wollen wir im Bundestag präsentieren, um weitere Gesetzesvorhaben zu prüfen.

(14) Erfolg des Wirtschaftens bestimmt sich nicht nur durch Verkaufszahlen und ihre Wachstumssteigerung, sondern auch durch ökologische und ethische Qualität, durch Zufriedenheit am Arbeitsplatz und sinnvolle Arbeit. Die bisherigen einseitigen Messungen, die nicht differenzieren, welche Bestandteile wachsen und wie die qualitativen Kriterien sich entwickeln, genügen nicht mehr. Das BSP ist durch andere Berechnungen wie z. B. NWI oder MEW zu ergänzen und ersetzen.

(15) Wie auch auf der Ebene der Volkswirtschaft, ist auch für Unternehmen und Produkte eine differenzierte Kennzeichnungspflicht notwendig. Verbraucher haben ein Recht darauf zu erfahren, wie ihre Produkte hergestellt werden und wie sie sich zusammensetzen. Desinformation durch Werbung ist durch echte Informationen zu ersetzen, die dem mündigen Bürger weitaus mehr entsprechen. Hierzu sind die gesetzlichen Regelungen zu erlassen und umzusetzen.

(16) Zur Integration ehemals Erwerbsloser schlagen wir das Instrument eines 1000 Euro-Jobs vor, der wie die Minijobs mit einer pauschalen Arbeitgeber-Abgabe kombiniert wird (z. B. 200 Euro). Auf Arbeitnehmerseite fallen weder Steuern noch Sozialabgaben an. Somit würde ein Brutto-wie-Netto-Effekt geschaffen, der Arbeitgebern und Arbeitnehmern nützt. Weitaus mehr Anstellungen sind denkbar. Der 1000 Euro-Job soll zumindest für 2 Jahre Geltung haben und evt. verlängerbar sein. 50 Prozent der Mittel kommen von den Arbeitsagenturen. Langzeitarbeitslose, die auf diese Weise wieder in den Job kommen, können freiwillig ein prozessbegleitendes Coaching durchlaufen.