Die sanfte Agentur

Kann es das geben? 120 000 angestellte Mitarbeiter im langsamen Walzer mit der Erwerbslosigkeit, der sie schließlich ihren Job verdanken? Spinnen wir uns mal etwas zurecht. Sozusagen die Reform der Reform (der Reform) der Einrichtung, die früher mal Arbeitsamt hieß. Früher bestückt von Mitarbeitern der Telekom, heute von gerade noch Erwerbslosen und Mitgliedern des Netzwerks Grundeinkommen.

Rufen wir uns noch mal die aktuelle Lage ins Bewusstsein: Nehmen wir mal an, jemand ohne Arbeit möchte Arbeitslosengeld beantragen. Vielleicht auch gleich Arbeitslosengeld II,  besser bekannt als Hartz IV. Was braucht man neben dem 16seitigen Antrag? Angaben über eigenes Vermögen, Lebenspartnerschaften, aktuelle Kontoauszüge, und dann, wenig später zumindest, einen Nachweis von einer Latte Bewerbungen um Jobs. Dies alles ist zu prüfen und zu dokumentieren. Digital und per Akte versteht sich. Nicht zu vergessen die so genannte Eingliederungsvereinbarung, hier werden „die Pflichten und Leistungen beider Seiten bei der Arbeitssuche, das Ziel und die verfolgte Strategie festgelegt. Weitere Inhalte können Zwischenziele und Maßnahmen sein sowie notwendige rechtliche Belehrungen“ (wikipedia). Es handelt sich in Mafiadeutsch um eine „Vereinbarung, die man nicht ablehnen kann“. Wenn der „Hilfebedürftige“ oder „Kunde“ (gemeint ist der Erwerbslose), renitent wird, nicht zu Terminen erscheint, die nötigen Dokumente nicht beibringt, an Lehrgängen oder „Maßnahmen“ nicht teilnimmt oder die „Vereinbarung“ nicht unterschreibt, drohen ihm Sanktionen.

So weit so wüst. 20, 60 oder gar 100 Prozent kommen schon mal vor. Obgleich die Lage in diesem Zusammenhang eher strittig ist: Darf von dem, was das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich als „soziokulturelles Existenzminimum“ anerkannt hat, überhaupt etwas abgezogen werden? Kann man ein derart hohes Recht auf existenzielle Absicherung verlieren, wenn man (im Auge des Sachbearbeiters) ungezogen wird? Laut Auskunft der Süddeutschen Zeitung haben die Arbeitsagenturen mehr als 900 000 Mal Sanktionen verhängt im letzten Jahr, ein absoluter Höchstwert. Allerdings ist davon nur eine kleine Zahl notorisch Aufmüpfiger betroffen, da diese sich in der Regel gleich mehrere Sanktionen einhandeln. 3-4 Prozent böse, die anderen verhalten sich „regelkonform“.

Nun aber endlich zu dem Bild von unserer „sanften Agentur“. Wie wäre es, fragt Schlee, wenn man uns – als Kunden! – mit Schampus in die heiligen Hallen begleitet. Statt harter Plastikstühle und Wartemarken ein kleines Buffet. Und dann: keine langen Anträge, keine Kontoauszüge, kein Vermögensnachweis, keine Bewerbungsschreiben, keine weiteren privaten Details und keine Eingliederungsvereinbarung – aber was dann? Ein Gespräch über „meine beruflich Zukunft, wie ich sie mir vorstelle“. Angebot einer Berufsberatung, eines Coachings, einer Visionsanalyse. Massagen zum Stressabbau. Süßer die Glocken die klingen. Freiwillige Teilnahme an Kursen. Praktika in Betrieben ihrer Wahl. Ein persönlicher Jobbegleiter. Existenzgründercoaching. Führerschein LKW. Gruppenarbeit. Befindlichkeiten aussprechen. Oder gar eine Berufsausbildung gratis? Alles kann, nichts muss.

Dann das größte. Gespickt mit weiteren „kleinen Anreizen“. Für das Seminar kriege ich 100, für diese Belehrung sogar 200 zugeschoben. Vollverpflegung inklusive. Und bekomme „ganz auf meine Persönlichkeit zugeschnittene“ Angebote. Zum Beispiel ich als Fernsehjournalist. Eine Produktionsfirma im Odenwald möchte meine Kenntnisse nutzen. Oder ein Zulieferer von RTL aus der Pfalz. Oder eine Umschulung als Erzieher – 9 Monate, an den Wochenenden, ohne Vorbedingungen. Das wäre ja noch besser. Eine Direktvermittlung, als Mitarbeiter der Arbeitsagentur. Regionaldirektionsbezirk Fürth. Waaas? Genial.

Sein wir nicht so kleinmütig. Auch Arbeitsagenturen sind nur Menschen. Eine Reform vom Arbeitsamt zur Agentur war machbar: Case-Management, Customer-Service, Recruitment, Coaching, Profiling und all das inklusive. Hauptsache Englisch und irgendwie Business-like. Warum schaffen wir nicht den Absprung von der Agentur zur – na was? Zur netten Behörde von nebenan?

Sanktionen auf etwas, was das Existenzminimum bedeutet, sind unlogisch. Die Anrechnung von Erspartem ist unfair: wer was geleistet hat, wird bestraft. Der Zwang zu Maßnahmen ist unsinnig – wer was werden will, wird sich beteiligen, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Wer nicht will, soll zuhause bleiben. Warum nicht mit kleinen Prämien nachhelfen, anstatt die Grundrechte zu verletzen?

Zahlen wir den Erwerbslosen einfach und unbürokratisch ihre Regelsätze aus, und geben wir echte Hilfestellung, dass es wieder einen Drive gibt in Richtung Arbeitsaufnahme. Geben wir eine echte Chance auf Wiederbeschäftigung durch den 50prozentigen Lohnzuschuss für zwei Jahre, nicht nur eines. Zur Not sogar mehr. Kümmern wir uns um vielfältige direkte Kontakte zu Unternehmern, statt zu regelmäßigen Gesprächen mit dem Fallmanager. Sorgen wir für Gruppencoachings und Existenzgründungszuschüsse, statt permanentem Bewerbungstraining. Wäre der Kunde hier wirklich König, hätten wir keine Probleme.

Die sanfte Agentur ist machbar.